Eigenbewegung - Dr. Christian Pinter - Fototipps

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Eigenbewegung
Sterne kreisen ums Milchstraßenzentrum. Unsere Sonne braucht für eine Umrundung desselben mehr als 200 Mio. Jahre. Die Raumbewegung von Sternen führt dazu, dass sich vertraute Sternbilder im Lauf von Jahrhunderttausenden auflösen.
Wer entdeckte die Eigenbewegung wirklich?

Zumeist schreibt man die Entdeckung der stellaren Eigenbewegung Edmond Halley zu. Der englische Astronom verglich dazu im Jahr 1717 den von Ptolemäus um 150 n. Chr. veröffentlichten Sternkatalog mit zwei neueren Arbeiten - mit den Beobachtungen von Tycho Brahe (um 1584) und mit dem Katalog seines Landsmanns und Zeitgenossen John Flamsteed.

Bei vier Sternen - Aldebaran, Beteigeuze, Sirius und Arcturus - wollte Halley eine Veränderung der Sternposition im Abstand zur Ekliptik (ekliptikale Breite) erkannt haben. In Wirklichkeit bleibt aber die Eigenbewegung des Orion-Sterns Beteigeuze selbst nach 1500 Jahren unter 1 Bogenminute - und damit vollständig unter der Auflösung des freien Auges (1 bis 2 Bogenminuten).

Aldebaran schafft in dieser Zeit etwa ein Zehntel Grad, Sirius sechs Zehntel und Arcturus etwas über ein ganzes Grad (gesamte Bewegung an der Sphäre; berechnet mit Guide).

Wie Frank Verbunt und Marc van der Sluys im Jahr 2019 betonten, wären die Fehler im freiäugig erstellten Katalog des Ptolemäus zu groß, um damit die von Halley behauptete Eigenbewegung wirklich zeigen zu können.
Die beiden Astronomiehistoriker schreiben diese Entdeckung vielmehr Jacques Cassini zu, der 1738 die aktuelle Position des Arcturus (Foto links) mit den Beobachtungen von Brahe (1584) und Jean Richer (1672) verglich.

Sie können deren Aufsatz online lesen: Why Halley Did Not Discover Proper Motion and Why Cassini Did.
Die Kopernikus-Bedeckung

Nimmt man die heutige Position des Aldebaran als fix an, wäre der Mond am 9. März 1497, von Bologna aus betrachtet, knapp an diesem Stern vorbei gezogen. Nur weil Aldebaran damals eine Spur nördlicher stand, sah ein damals 24jähriger Student aus Thorn an diesem Abend mit an, wie ihn der Mond bedeckte.

Dieses Erlebnis wurde zur ersten überlieferten Himmelsbeobachtung des Nikolaus Kopernikus!
Frühere PC-Programme berücksichtigten die Eigenbewegung nicht, weshalb man oben genannte Sternbedeckung damit nicht nachempfinden konnte.

Ich habe dies 1997 in einem Brief an die US-Zeitschrift Sky & Telescope beklagt, was dann wiederum Jean Meeus in seinen Astronomical Morsels zitierte.
Die Eigenbewegung selbst nachweisen

Dank der fotografischen Astrometrie brauchen wir keine Jahrhunderte mehr zu warten, um die Eigenbewegung naher Sterne zu vermessen. Im günstigsten Fall klappt dies schon nach einem knappen Jahr.

Der helle, weil nahe Stern Sirius im Sternbild Großer Hund wandert in 10.000 Jahren rund 3,85 Grad nach Süden. Das sind 1,386 Bogensekunden per anno (Grafik erstellt mit Guide 9.0).


Meine Anordnung löst astrometrisch rund 1 Winkelsekunde auf. Durch Mittelwertbildung erreiche ich oft aber fast eine halbe Winkelsekunde!
Die beiden Komponenten der Raumbewegung

Es gibt eine auf uns zu bzw. von uns fort gerichtete radiale Komponente: Sie lässt sich im Spektrum anhand der stellaren Blau- bzw. Rotverschiebung messen. Amateurmittel reichen dazu meines Wissens nicht.

Unter dem Begriff "Eigenbewegung" - englisch: proper motion (PM) - wird meist nur die tangentiale Komponente verstanden. Sie führt zu einer allmählichen Ortsveränderung am Himmel, in Rektazension und in Deklination. Diese Komponente ist von Amateuren nachweisbar.

Bei manchen Sternen ist die Eigenbewegung auffälliger als bei anderen. Aus perspektivischen Gründen sind das zumeist sehr nahe Sterne.
Um die Eigenbewegung nachzuweisen, muss man den fraglichen Stern im Abstand von Jahren bis Jahrzehnten astrometrieren. Wer früh anfängt, ist also im Vorteil.


1 Bogensekunde = 1000 mas

Eine Bogensekunde ist grosso modo jener Winkel, den Amateurteleskope gerade noch auflösen. Die jährliche Eigenbewegung ist im allgemeinen aber so winzig, dass sich noch kleinere Winkel ergeben. Um dennoch handliche Zahlen zu erhalten, werden solche Winkel quasi mit einer "mathematischen Lupe" betrachtet:

In der Literatur spricht man dann von Tausendstelbogensekunden - mas (Milliarcseconds). Aus 0,2 Bogensekunden pro Jahr (lat.: annus, Ablativ anno ) werden so z.B. 200 mas/a; aus 1,1 Bogensekunden 1100 mas/a.


Wo lohnt es sich?

Im folgenden finden Sie interessante Beispiele aus unserer direkten kosmischen Nachbarschaft (Artikel). Bei diesen Sternen lässt sich die Eigenbewegung fotometrisch schon nach relativ kurzer Zeit zeigen!

Luyten's Star

Die Eigenbewegung Luytens Stern wurde erstmals 1935 nachgewiesen, und zwar von Willem Jacob Luyten, einem auf Java (damals zu Holland gehörig) geborenen Astronomen. Im Jahr obiger Entdeckung lehrte er in Minnesota. Luyten's Star wird, je nach Katalog, auch GJ 273, BD+05 1668 oder HIP 36208 genannt.
Er schimmert mit 9,9 mag im Kleinen Hund. Der Zwerg (Spektralklasse M) besitzt ein Viertel der Sonnenmasse, ist 12,3 Lichtjahre von uns entfernt und bewegt sich mit 3,7" pro Jahr (in Richtung des Positionswinkels 171°) weiter. Nach heutigem Wissensstand besitzt er zwei (nur indirekt nachweisbare) Begleiter: Innen eine Welt von etwa Erdmasse, weiter außen eine sogenannte Supererde mit der dreifachen Masse unseres Planeten.
Barnard's Star

In bloß halber Distanz (6 Lichtjahre) steht Barnards Stern im Schlangenträger. Sieht man von dem nur in südlicheren Breiten sichtbaren Alpha Centauri System ab (das aus drei Sternen besteht), ist dieser Rote Zwerg der sonnennächste Stern. Er besitzt ein Sechstel der Sonnenmasse, eine scheinbare Helligkeit von 9,5 mag und eine Eigenbewegung von 10,4" in Richtung des Positionswinkels 356°.

Diese wurde 1916 vom US-Astronomen Edward Emerson Barnard bestimmt und ist recht eindrucksvoll von Amateuren nachzuweisen. Zwei hochauflösende Fotos im Abstand einiger Monate genügen. Soweit bekannt, besitzt dieser Stern keine planetaren Begleiter. Weitere Katalogbezeichnungen von Barnards Stern: BD+04°3561a, GJ 699 oder HIP 8793.
Barnard's Star - das helle Objekt in der Bildmitte
Ich habe die Örter von Barnards Stern u.a. in 2,66 Jahren Abstand ermittelt. Ein simples Excell-Sheet errechnet aus meinen Messungen eine jährliche Eigenbewegung von 10,14": Diese setzt sich aus einer geringfügigen Bewegung von -0,56" in Rektaszension und einer raschen von +10,12" in Deklination zusammen. Die korrekten Detailwerte wären -0,80" bzw. +10,36".
61 Cygni

Forschungsgeschichtlich ist dieser mit 6 mag unter besten Bedingungen gerade noch freisichtig erkennbare Stern besonders prominent. An ihm maß der deutsche Astronom Friedrich Wilhelm Bessel 1837/38 die erste verlässliche Fixstern-Parallaxe. Das machte 61 Cygni zum ersten Stern, dessen Sonnendistanz bekannt war. Es sind 11,4 Lichtjahre. Ausgewählt hatte Bessel ihn für seine Messungen aufgrund der großen Eigenbewegung, die bereits auf eine relative Erdnähe hinwies.

61 Cygni bewegt sich am Himmel mit jährlich 5,2" (Positionswinkel = 52°) weiter, was sich astrometrisch schon nach wenigen Monaten nachweisen lässt. Er besteht aus zwei Sternen, die 28" voneinander getrennt sind. Ein größeres Fernglas bzw. kleines Fernrohr reicht bereits, um den Lichtpunkt in ein Sternenpaar aufzulösen.
61 Cygni - ein erdnaher Doppelstern mit hoher Eigenbewegung
Weitere astrometrische Ergebisse mit dem LX90:

  Sternname       Eigenbewegung in mas/a   
                     gemessen      laut Katalog
                   RA      DE        RA      DE
  Procyon        -673   -1148      -715    -103
  Sirius         -291   -1244      -546   -1223
Sterne mit hoher Eigenbewegung

Guide 9.0 kann die Eigenbewegung von Sternen anzeigen. Von diesem Objekt wird dann ein Strich gezogen - in die Vergangenheit oder in die Zukunft. Die Zahl der Jahre ist wählbar.
Wie die mit Guide erstellte Grafik zeigt, teilen sich die Mitglieder des Plejaden-Sternhaufens die gleiche Raumbewegung. Es wurde hier 10.000 Jahre in die Zukunft extrapoliert.


Mit Guide 9.0 suchte ich Sterne mit besonders großer Eigenbewegung heraus. Diese subjektive Auswahl wird noch erweitert. Die Angaben (Bogensekunden pro Jahr) habe ich nur grafisch ermittelt. Sie sind daher nicht exakt, geben aber die Größenordnung wieder.


Sterne mit hoher Eigenbewegung:
SAO 98781 (Löwe): 0,9"
SAO 62738 (Gr. Bär): 7"
Beta Com: 1,2"
Arktur: 2,3"
SAO 100695 (Bootes): 2,3"
61 Vir (Jungfrau): 1,5"
SAO 27178 (Gr. Bär): 1,7"
SAO 27289 (Gr. Bär): 1,1"
61 Cygni: 5"
Eta Cas: 1,3"
Mu Cas: 3,9"
Beta Cas: 0,6"
Sigma Dra: 1,9"
Gamma Ser: 1,3"
SAO 121921 (Oph): 1,7"
70 Oph: 1,3"
SAO 110636 (Cet): 2,3" *
Epsilon Eri: 1"
Keid: 2,2" *
Sirius: 1,3" *
Gamma Lepi: 0,6"
Delta Lepi: 0,7"
SAO 132211 (Ori): 0,7" *
SAO 132145 (Ori): 0,9"
SAO 131977 (Ori): 0,7"
SAO 131688 (Eri): 1,2" *
Prokyon: 1,2" *
Pollux: 0,7"
Castor: 0,3"
Wie Guide zeigt, ziehen Gamma Leonis (Algieba) und AD Leonis in entgegengesetzte Richtung davon. Da sollte sich die Eigenbewegung recht rasch durch wachsenden gegenseitigen Abstand verraten. Links: Guide. Rechts: Foto
Die aktuellen Positionen wurden aus dem Foto vom 11.5.2017 durch Mittelwertsbildung bestimmt (2000):

Gamma Leonis:
RA 10h19'58,8'' DE 19°50'26'' aus 4 Messungen besser als 0,5'' - Fehler 0,1''
AD Leo:
RA 10h19'35,7''  DE 19°52'11,7'' aus 10 Messungen besser als 0,5'' - Fehler 0,4''
Abstand Gamma Leonis zu AD Leo (aus Unterschied in RA und DE):
342,6“ - Positionswinkel 288,0°
Wolfgang Vollmann nennt auf seiner Website außerdem

56 And
Aldebaran
Capella
Denebola
Barnards Pfeilstern (siehe oben)    
Wega
Atair
Krüger 60 Cephei

Siehe auch:

Solche Sterne sollte man möglichst bald fotografieren - um Jahre später zu ihnen zurückkehren zu können!
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